Und wieder liegt ein aufregendes Wochenende hinter uns in guter Radbannier hinter uns. Wer den Bericht vom letzten Jahr gelesen hat, wird sicherlich noch wissen, dass man sich beim Tannheimer Tal Radmarathon nicht nur gegenseitig besser kennenlernt, sondern diese Veranstaltung ein Garant für Selbsterkenntnis und Selbstreflexion ist.
Deshalb wird dieser Bericht auch ein wenig länger, denn ich möchte vor allem ein paar Einblicke in die Gemütslagen und Erkenntnisse unserer 12 Mitfahrer*innen geben.
3 Radbanditen waren bei der mittleren Strecke mit einer Gesamtlänge von 129 km und ca. 700 HM am Start und tatsächlich 9 Fahrer*innen hatten sich an die lange Strecke mit 214 km und über 3.000 HM gewagt.
Die Atmosphäre am Vorabend war von reichlich Nervosität geprägt. Neben den Routiniers, von denen unser Chris Raab um die vorderen Plätze mitfuhr, sollte es für einige von uns nicht nur der erste offizielle Radmarathon an sich sein, sondern zum Beispiel auch die erste Pass-Auffahrt oder auch die erste große Herausforderung nach überstandener COVID-Erkrankung. Die Gründe und Motivationen, bei dieser Veranstaltung teilzunehmen, waren also vielfältig und so wurde angeregt über die richtige Ernährungs-, Start- und Tempostrategie philosophiert.
Um ein wenig den Fokus von den fast schon quälenden Gedanken "Radrennen - oje! wie krieg ich 60 g Carbs in der Stunde gegessen? was ziehe ich nur an? zu nervös zum Schlafen!" abzulenken, fanden wir für uns stattdessen folgendes Mantra für den nächsten Tag: Morgen wird das Wetter gigantisch und wir sind in einer traumhaften Gegend. Was gibt es da schöneres, als den ganzen Tag Fahrradfahren zu dürfen?!
Nach einem kurzen Frühstück am Sonntagmorgen war es so weit. Nervös fröstelnd standen wir zu siebt am Start und holten uns die letzten Instruktionen von unserem Langstrecken- und Bergspezialist Andi "LollyRoger". Für Heike war bereits klar, dass sie aufgrund einer vorangegangenen OP im Laufe der Strecke umdrehen würde. Sie würde am Ende vom Tag beachtliche 150 km und 2.300 HM auf die Uhr bringen. Wahnsinn!
Punkt 06:00 ging es also auf die lange Strecke. Der Schnitt war hoch, wir versuchten dran zu bleiben und rauschten über das Oberjoch in einem "Affenzahn" Richtung Wertach direkt zur ersten Verpflegungsstation bei Kilometer 48. Auch wenn es mega Spaß machte, dieses Rennfeeling mitzuerleben und sich davon "antreiben" zu lassen, war eins auch sofort klar: dieses Tempo würden die wenigsten von uns lange durchhalten. Die "Eskalation" am Start und erste Wadenkrämpfe forderten bereits ihren Tribut und Bülent entschied sich dazu, langsamer und vor allem allein weiterzufahren. Wahrscheinlich die richtige, aber dennoch sehr lehrreiche Entscheidung, wie sich später herausstellen würde. Auch wir restlichen 5 erinnerten uns an unser Mantra und schalteten einen Gang runter.
Weiter ging es über den "gefürchteten" (weil neu) Schweineberg bei Sonthofen zum Riedbergpass. Wir überholten zum erneuten Mal die 9-Stunden-Gruppe um Marcel Wüst ein, der nie um einen flotten Spruch verlegen war. Gut eine halbe Stunde würden wir für die Auffahrt benötigen. Meine Erkenntnis des Tages: "Was hatte ich mir bei meiner miesen Vorbereitung in diesem Jahr nur dabei gedacht, mit einem Gang weniger an den Start zu gehen? Eine selten dämliche Idee!"
Wir ließen trotzdem zahlreiche Mitstreiter hinter uns und mit den erlösenden Klängen der Alphornbläser vor der Passhöhe hatte vor allem Maren ihre nächste persönliche Challenge geschafft: sie hatte mit Bravour ihren ersten Pass bezwungen. "Macht aber nicht wirklich Spaß oder?!", waren ihre ersten Worte... Ein wenig blass und nicht ganz schlüssig, ob man das am Hochtannbergpass tatsächlich nochmal machen will, ließen wir uns trotzdem nicht viel Zeit zum Verweilen. Denn endlich kamen wir in den Genuss, auf einer, für den Autoverkehr, gesperrten Passstraße ins Tal zum nächsten Verpflegungspunkt zu rauschen. MEGA!
Anschließend ging es wellig weiter in den Bregenzerwald. Wir sammelten so manchen einzelnen Fahrer auf, der froh um ein wenig Windschatten war, ließen aber auch davon wieder einige hinter uns. Unsere Männer machten einfach einen klasse Job. Mit konstant zügigem Tempo erreichten wir gegen halb 11 den Hochtannbergpass. Die Temperaturen waren in der Zwischenzeit bei über 25 Grad angekommen und die darauffolgende Stunde würde uns noch einmal alles abverlangen. Kurve um Kurve schlängelten wir uns nach oben. Wir sahen Fahrer, die ihr Fahrrad schoben oder im Schatten pausierten. "Jetzt nur nicht verleiten lassen... mein Rücken braucht dringend eine Pause... wenn ich jetzt absteige... ich will auch ein kühles Getränk... SO EIN RIESEN SCHEISS... können wir nicht endlich oben sein...?!?!?"
ENDLICH, wir sehen das Gipfelkreuz! Der Löwenanteil des Tages war geschafft. Die Erleichterung war groß und die Glückshormone zeichneten ein breites Grinsen auf allen Gesichtern. Der Rest würde quasi ein Kinderspiel werden (nein, war es nicht!). Die Abfahrt, die jetzt folgte, war wieder ein riesen Spaß. Großer Gang, Unterlenker und einfach laufen lassen. Alles, was wir beim Radbande. Techniktraining an Kniffen für's schnelle Kurvenfahren geübt hatten, konnten wir jetzt ausspielen.
Und dann... nein, nicht das noch. Mein Hinterreifen war platt. Zumindest konnte man den silbernen Übeltäter recht schnell ausfindig machen. Mit einer Sicherheitsnadel perforiert hält der beste Schlauch eben nicht. Raus, wechseln, rein, erledigt. Und schon konnte es weiter gehen.
Die Nudelsuppe am nächsten Verpflegungspunkt gab wieder ausreichend Kraft für den nächsten flachen und sehr windigen Abschnitt durchs Lechtal. Und wieder waren es Andi und Frank, die unermüdlich die Führungsarbeit leisteten. Mein innerer Dank war grenzenlos.
Bis zum Gaichtbergpass durften wir uns noch zwei Mal verpflegen und vor allem mit viel kaltem Wasser erfrischen. Das Thermometer brachte nun 32 Grad auf's Rohr. Noch ein Mal versuchten wir also, alle Kräfte und gute Gedanken zu mobilisieren und den letzten Pass schnell hinter uns zu bringen. Oben angekommen, konnten wir es kaum glauben. Wir wurden mit wehendem Radbande. Banner und einem großen HALLO von Adi empfangen, der am Morgen die 130er Runde gefahren war. So ein schöner Moment, vor allem weil wir wussten, dass es jetzt nur noch 15 km waren, die wir rumbringen mussten. Jede Welle wurde zum kleinen Berg, aber das wurde gefühlt belanglos, als wir nach beinahe 10 Stunden gemeinsam über die Ziellinie rollten. Was für ein Gefühl! Der Zusammenhalt der Gruppe und die gegenseiteige Unterstützung hatten es möglich gemacht, dass wir diese wahnsinnige Runde wohlbehalten überstanden hatten.
Als erster im Ziel begrüßte uns lautstark Rüdiger. Auch er war als "Newcomer" bei der 130er Runde gestartet und hatte es ordentlich gerockt!
"Wie es wohl Bülent in der Zwischengeht erging", wollt ihr natürlich noch wissen?! Von Wadenkrämpfen geplagt und durch zu wenig Kohlenhydraten in den Hungerast geraten, kämpfte er sich trotzdem Kilometer um Kilometer weiter und tapfer die Pässe nach oben. Ohne Gruppe, die ihm den nötigen Schutz vor dem starken Seiten- und Gegenwind im Lechtal und somit die dringende Erholung geschenkt hätte, war es eine besondere Leistung von ihm, diese Tour geschafft zu haben. Ein Tag am Limit mit vielen Fragenzeichen zum Thema Verpflegung.
Damit komme ich nun auch zum Schluss unseres Berichts. Und da es Heike sehr treffend beschrieben hat, möchte ich mit ihrer Aussage abschließen: "Man bereut nicht das, was man tut, sondern das, was man nicht getan hat. Spaß, Zweifel, Fluchen, Staunen und am Ende ein Grinsen im Gesicht...", so die Kurzzusammenfassung dieses beeindruckenden Tages.
Danke Radbande. für dieses unvergessliche Wochenende!
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