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Cornelia Ohst

Querschnittsgelähmt nach einem Unfall - Einer, der sich ins Leben zurückbeißt

Von Cornelia Ohst - Marbacher Zeitung 02.04.2021

Jochen Scholz ist leidenschaftlicher Radfahrer seit mehr als 20 Jahren. Als Amateursportler ist er erfolgreich Mountainbike-Rennen gefahren. „Über Land und Flur macht es am meisten Spaß“, sagt der Mann, der die Strecke zwischen seinem Wohnort Murr und der Arbeitsstelle in Freiberg regelmäßig mit dem Rad zurückgelegt hat. Doch außer den Fahrten zur Arbeit liebte der sportliche Familienvater auch die Ausfahrten mit Gleichgesinnten. So etwa mit der Radbande. Murr, bei der sich Rennradfahrer unterschiedlicher Leistungsstufen regelmäßig zusammentun. Doch das alles hatte für Jochen Scholz nur Gültigkeit bis zum 24. November 2020. Seinen geliebten Aktivitäten setzte der Fahrer eines Sprinters nämlich an diesem Tag ein jähes Ende.


Dieser missachtete die Vorfahrt des Radlers und fuhr ihn bei der Heimfahrt von der Arbeit regelrecht über den Haufen. Jochen Scholz erinnert sich nur noch daran, „dass ich völlig verdreht am Boden lag und immer wieder darum bat, dass man unbedingt meine Frau anrufen möge.“ Doch bevor er überhaupt ins Krankenhaus transportiert werden konnte, rückte die Feuerwehr Steinheim mit einem Fahrzeug und acht Einsatzkräften aus. Sie mussten Scholz befreien, da sein Bein zwischen Fahrradrahmen und Lenker eingeklemmt war.


Der Untersuchungsbefund Stunden später im Krankenhaus klingt selbst in Teilen heute noch schockierend: Verletzung der Halswirbel- und Brustwirbelsäule, Rippenserienfraktur beidseitig, dadurch werden beide Lungenflügel perforiert, die in sich zusammenfallen. Lungenquetschung rechts. Schädigung des Rückenmarks durch eingedrungene Knochensplitterfragmente, die bei Jochen Scholz schließlich zu einer Querschnittlähmung ab Brusthöhe führen.


Durch die Unachtsamkeit eines Autofahrers wird der Vater zweier Kleinkinder innerhalb von Sekunden zum Behinderten. Dabei ist in den Anfangstagen nicht einmal klar, ob er die schweren Verletzungen überstehen wird. Sein Leben hängt an einem hauchdünnen Faden. Für Jochen Scholz´ Ehefrau ein tagelanger Ritt durch die Hölle. Noch heute kämpft sie mit den Tränen, wenn sie sich an diese Zeit erinnert. Gerade einmal vier Monate sind seither vergangen. Und obwohl es hieß, „dass man selten eine Lunge gesehen habe, die derart schwer verletzt war“, zeigt sich Jochen Scholz heute im Rollstuhl sitzend, als Stehaufmännchen.


Vage spricht er davon, dass eine theoretische Regeneration der Nervenbahnen medizinisch möglich sei. Doch der Mann, der sich weder die eigenen Röntgenbilder ansehen noch allzu genau wissen will, wie viele Operationen dem Unfalltag folgten und wie viele Wochen er im künstlichen Koma lag, sieht auf andere Weise nach vorne. Für ihn gilt ab sofort: maximale Teilnahme an einem aktiven Leben zu zeigen. Das schließt auch das Radfahren mit ein, das er auch künftig gemeinsam mit der Familie plant. Ein speziell angefertigtes Hand-Mountainbike soll es ermöglich. Sein Oberkörper, also Arme und Schultern, sind inzwischen durch eifriges Training gestählt. „So viele Muskeln hatte ich nicht einmal vorher“, grinst der Patient, der bei dem Gespräch im Außenbereich der Rehaklinik in Bad Wildbad, in einem mechanisch betriebenen Rollstuhl sitzt, mit dem er häufig in die Innenstadt rollt. Seine partielle Fitness ist wichtig für ihn. Es ist viel Kraft nötig, um ein relativ selbstbestimmtes Leben führen zu können, das ihn obendrein Autofahren lässt: Mit Gas-Ring-System. Den nötigen Fahrschulunterricht hat er in Bad Wildbad erhalten. Sein Fahrgutachten umfasst auch Fahrten mit Anhänger: „Ich will auch in Zukunft Campingurlaub mit der Familie machen“, sagt er entschieden.


Die Familie erwähnt Jochen Scholz im Gespräch häufig; sie scheint Antrieb für alles zu sein. Wenn er sich nach seiner Rückkehr im Alltag zurechtfinde, wolle er auch wieder arbeiten. Sein Job, zu 80 Prozent Bürotätigkeit, mache es möglich. Um alles realisieren zu können, was ihm vorschwebt, müssten zahlreiche Umbaumaßnahmen das Leben mit Rollstuhl ermöglichen: Ins Eigenheim kommt deshalb ein Deckenlift, an dem der Rollstuhl befestigt wird und der ihn über ein Schienensystem auf alle vier Etagen des Hauses bugsiert. Die Dusche ist inzwischen bodentief. Im Keller wird eine Art spezielles Krafttraining- und Fitnessstudio dafür sorgen, dass die Muskeln, auch die der gelähmten Beine, nicht abschlaffen. Und ein Bekannter hat ihm vor dem Haus eine Rampe gebaut, damit er mühelos ins Haus kommt.


„Überhaupt bin ich beeindruckt davon, wie groß die Bereitschaft ist zu helfen“, resümiert Jochen Scholz dankbar, der seit Januar auch seinen Lebensmut wiedergefunden hat. „Davor ging es mir schlecht“, sagt er knapp und skizziert kurz, wie es war, als er nach dem Koma alle Handy-Nachrichten lesen konnte. „Ich habe drei Tage dazu gebraucht. Und ich war viel am Flennen.“ An die Zeit, die er im künstlichen Koma verbrachte, erinnert sich der Murrer „als einen alptraumhaften Zustand. Es war wie eine Endlosschleife, in der ich furchtbaren Mist zusammengeträumt habe“.


Der Unfall hat den 39-Jährigen verändert: „Die Tränen fließen jetzt viel schneller. Und ich bin geduldiger geworden“, konstatiert Scholz schmunzelnd, der sich wie „wild darauf freut, endlich wieder heimzukommen und bei der Familie zu sein. Die war Motor und Motivation, all das durchzustehen. Ostern werden sie gemeinsam verbringen. Dann wird zwar der Lift noch nicht installiert sein, aber „ich werde mich eine Woche lang mit einem Gelkissen unter dem Hintern, die Treppen hochwuchten“. Jochen Scholz wird auch das gelingen. Er hat den Biss dazu; der hat ihm auch bei seiner relativ raschen Genesung sehr geholfen.


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