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5+1 Radsportmonumente

  • Andi H.
  • 6. Aug. 2023
  • 17 Min. Lesezeit

Die Idee ist 2016 gekommen: einmal alle 5 Radsportmonumente zu fahren. Es sind dann 6 geworden. Moment! Es gibt nur 5 Radsportmonumente. Offiziell: ja. Ich bin der Meinung: Strade Bianche hat diesen Status verdient. Zu einzigartig und schön ist das Rennen und die Atmosphäre. Für mich ist klar: 6 ist die relevante Zahl.


Bei einigen Hobbyrennen gibt es 2 Optionen: am Tag vor oder nach dem Profirennen selbst fahren (teilweise gekürzt). Oder im Sommer die volle Distanz. Gerade bei den Frühjahrsklassikern gehört das Wetter zum Rennen dazu. Und so ist die Entscheidung: alle Monumente sind am Wochenende des Profirennens zu fahren.


Strade Bianche (05.03.2023)

Für die Hobbyfahrer stehen 2 Strecken, am Sonntag nach den beiden Profirennen, zur Auswahl. Die Originalstrecke des Mädelsrennen (138km) mit 9 Schottersektoren oder eine kurze Version mit 89km. Wir reisen Freitag an und haben Samstag Zeit uns die Zielankünfte der Mädels und Jungs in Siena anzugucken.


Das Profirennen Strade Bianche ist aus einem Hobbyrennen entstanden (das ist doch mal ein Ziel für die Radbande. 😉): die L’Eroica. Von 1997-2006 waren ausschließlich historische Rennräder und Hobbyfahrer zugelassen. Zum 10jährigen Jubiläum 2007 gab es das erste Profirennen. Seit 2016 gibt es einen Gran Fondo.


Am Sonntagmorgen beim Start ist es eiskalt. Bei 1°C warte ich mit 6499 Anderen auf den Start um 08:00 an der Fortezza Medicea. Es wird in 5 Blöcken gestartet und ich rolle erst um 08:29 über die Startlinie. Vor mir sind etwa 6300 andere Radfahrer. Also immer irgendjemand. Nach 20km der erste Schottersektor. Die meisten Fahrer um mich herum haben offensichtlich Angst. Sind mir zu langsam und zu unsicher. Überholen ist wegen der Masse der Fahrer schwierig und ich komme dem Graben oft bedenklich nahe. Jeder kurze Sprint bringt mich ein paar Positionen weiter nach vorne, nur um hinter dem nächsten Fahrer festzuhängen. Komplizierter ist es an den Steigungen. Viele steigen ab und behindern alle nachfolgenden Fahrer. Immerhin komme ich den ganzen Tag ohne „erzwungenes Absteigen“ durch. Da hat es andere um mich herum härter getroffen, die wegen eines Vordermanns absteigen mussten.


Nach 30km stehe ich mit ca. 200 anderen an der ersten Verpflegung im Stau. Ich will sie auslassen, weil mir zu viel los ist, brauche trotzdem 5min, bis ich zu Fuß vorbei bin (also irgendwie doch ein erzwungenes Absteigen). Kurz danach teilen sich die Strecken und es wird übersichtlicher. Die Fahrer auf der Gran Fondo Strecke sind schneller und sicherer unterwegs. Es gibt mehr Platz. Die Konstante des Tages bleibt: bergauf bin ich meist gezwungen langsamer zu fahren, als ich könnte. Auf den Abfahrten bin ich – für meine Verhältnisse – erstaunlich schnell unterwegs. Ich bin von mir selbst überrascht. Über die Schotterpassagen fliege ich. Kein Problem mit Fahrtechnik oder dem Schotter.

Die meiste Zeit des Tages ist das große Kettenblatt im Einsatz. Heute zahlen sich die Leiden und Erfahrung von Paris-Roubaix aus. Apropos Roubaix. Die Anzahl der verlorenen Flaschen, Satteltaschen, Westen, Jacken, Handschuhe, … die unterwegs auf dem Schotter liegen ist bei der Strade Bianche um ein Vielfaches größer als bei Paris-Roubaix. Das überrascht mich dann doch.


Der Tag ist und bleibt kalt. Sonnig. Windig. Es ist viel los. Technisch schwierige Abfahrten (bis 15% Gefälle auf Schotter) und immer wieder: einfach geile Ausblicke über die Toskana.


Es geht fast immer hoch oder runter. Kaum flache Abschnitte. Ich bin glücklich. Einer der besten Tage auf dem Rad. Nach den 40km Asphalt im letzten Drittel des Rennens wünsche ich mir sehnlichst Schotter herbei. Das Ganze ist ein riesiger Spaß.


Dazu kommt die super Organisation der RCS. Wir werden von denselben Autos, Motorrädern, Fahrern und Fotografen wie die Profis begleitet. Inklusive Shimano Servicewagen. Da kommt schon eine ordentliche Portion Profi-Rennstimmung auf. Bei der RCS fühle ich mich immer sicher. Die Fahrer wissen, was sie tun. Bei Strade Bianche gibt es für uns Hobbyfahrer eine Reihe professioneller Zusatzleistungen: Freitag und Samstag kann man am Shimano-Stand sein Rad checken lassen (kostenlos), am Ende jedes Schottersektors ist ein Shimano-Service-Pavillon, an dem Defekte kostenlos behoben werden. Angeblich ist sogar das Material (Schlauch/Reifen/Schaltzüge) kostenlos. Und nach der Tour kann man auf dem Veranstaltungsgelände in der Fortezza Medicea sein Fahrrad kostenfrei waschen lassen („lassen“ ist das Zauberwort).


Dann kommen die beiden letzten Schotterabschnitte. Maximal 15% bzw. 18% Steigung. Zum Glück sind fast nur noch gleichstarke Fahrer um mich herum und ich es geht so schnell bergauf, wie ich kann. An Le Tolfe stehen tatsächlich Zuschauer und feuern uns an. Was ein Spaß. Es bleiben 13km bis nach Siena zur Piazza del Campo. Noch mal etwas Essen und Trinken und dann geht es unter dem 1km Bogen durch. Ab nach oben. Hier staut es sich fast. Viele Fahrer schieben oder kriechen bergauf. Viele Zuschauer links und rechts an der schmalen Gasse, die mitlaufen und anfeuern. Fast reist mich eine Frau mit Kamera um, aber ich komme heile hoch, trotz Krämpfen in beiden Beinen (hab‘ ich wohl doch zu wenig getrunken). Jetzt noch 450m durch die schmalen Pflaster-Gassen der Altstadt bis auf die Piazza. Was für Emotionen. Da stehen wieder viele Zuschauer. Und Kate. Mein Fazit des Tages kann ich sofort abgeben: „Mama: darf ich noch eine Runde fahren?“ Und ich habe einige Tränchen im Auge (natürlich nur wegen dem Staub – Ja. Ne. Is‘ klar.). Ich bin begeistert und glücklich. Was will ich mehr? Von mir aus hätten es auch noch 50km und 2 Schotterabschnitte mehr sein dürfen. Also das komplette Jungsrennen.


Dieses Jahr wurde die Strade Bianche von Demi Vollering (SD-Workx) und Thomas Pidcock (Ineos Grenadiers) gewonnen.


Milano – Sanremo (19.03.2022)

Es gibt 2 Optionen: am Sonntag nach dem Profirennen 130km oder im Juni auf der kompletten Strecke von Mailand nach San Remo. Ich starte im März. So wie seit 1907 üblich.


Start für die 270 Teilnehmer ist um 09:00Uhr am Hafen. Sehr entspannt.

Bei der Gelegenheit: gleich mal das Revier markiert und erweitert 😉.


Das Wetter ist mild und sehr windig. Aus San Remo raus geht es Richtung Osten und ins Hinterland über ein paar Hügel. Die letzten 60km folgen dann der Originalstrecke. Für die ersten 25km bis zum Abzweig ins Hinterland brauchen wir heute 30min. Wind kann auch schön sein.


Ab dem Abzweig: kleine, schmale Straßen und bergauf. Sehr schön. Hier ist es windgeschützt und einigermaßen warm. Ich genieße die Landschaft und die Steigung. Die Verpflegungsstelle lasse ich aus.


Die Abfahrt zurück zur Küstenstraße ist im unteren Teil gefährlich. Starke Windböen bestimmen die Fahrlinie. Nicht mehr ich. Wir kommen aber alle heile unten an und weiter geht es am Meer entlang auf der Originalstrecke. Oh, wie schön. Vor den letzten beiden Anstiegen Cipressa und Poggio haben die Veranstalter einen Extraberg gesetzt (doch noch eine Abweichung von der Originalstrecke). Der ist hauptsächlich steil und hässlich. Da war der Anfang schöner. Die Abfahrt ist kurvig und führt durch kleine Ortschaften. Eine Einstimmung auf die nächsten beiden Hügel.


Die Auffahrt zur Cipressa ist ganz angenehm (wenn man nicht mit über 30km/h versuchen muss Wout van Aert abzuhängen). Nach dem „bekannten“ Torbogen mache ich ein Erinnerungsfoto. Leider gibt es keine offiziellen Fotos bei dieser Tour. Schade. Die Straße schlängelt sich runter an die Küste. Dort auf der Hauptstraße entlang, bis zum bekannten Abzweig: rechts hoch auf den Poggio. Hier schlägt der Wind voll zu. Gegen den Wind brauche ich fast den kleinsten Gang. Mit dem Wind fahre ich – wie die großen Jungs – auf dem großen Kettenblatt mit über 30km/h bergauf. Cool.


Und Zack! Ist es auch schon vorbei. Der Poggio ist erreicht. Das Ziel für uns ist in der berühmten Linkskurve mit Telefonzelle. Die gefährliche Abfahrt gehört nicht mehr zum offiziellen Rennen. Oben muss jeder sein Rad und seine Habseligkeiten gut festhalten. Sonst weht es weg. Nach einer kurzen Pause rolle ich runter. Gut, dass die Abfahrt außerhalb der Wertung gefahren wird. Die Straße ist erstaunlich eng und unübersichtlich. Im TV sieht das alles viel breiter aus. Der Teil, an dem Mohoric in den Graben gefahren ist … da kann man lebend rauskommen, muss man aber nicht. Erstaunliche Fahrkunst von dem Mann. Respekt.


Zurück in Sanremo fahre ich zu Pastaparty in einem schönen Garten einer alten Villa.


Jetzt gilt: Plastikteller mit den Nudeln gut festhalten, damit mein Essen bei mir bleibt. Ein sehr schöner Platz, um die Veranstaltung ausklingen zu lassen.


Dieses Jahr wurde Mailand-Sanremo von Matej Mohoric (Bahrain-Victorious) gewonnen.


Paris – Roubaix (07.04.2018)

Wieder 2 Optionen: am Samstag vor dem Profirennen die letzten 175km der Originalstrecke inklusive aller Kopfsteinpflasterpassagen. Oder im Juni die komplette Strecke. Auch hier gilt: am Wochenende des Profirennens bin ich dabei. Die beiden einzigen deutschen Sieger sind 1896 Josef Fischer (erste Austragung) und 2015 John Degenkolb.


Der Start ist mitten im Nirgendwo in Busigny. Das nächste Hotel ist 30km entfernt. Es gibt abends einen Bustransfer von Roubaix zurück zum Startort. Morgens um 7:00 stehen erstaunlich wenig Fahrer am Start. Vielleicht 200 Radler. Da habe ich mehr erwartet. Ich winke Kate noch einmal zu und dann geht es los. Kalt ist es, aber die Wettervorhersage verspricht Sonne und sie hält ihr Versprechen. Zum Glück. Die ersten 30km sind flach und schnell. Dann mit Schwung in die erste Kopfsteinpflasterpassage. 3 Sterne und 2,2km. Quasi nix. Aber heftiger als alles, was ich bisher in Deutschland als Kopfsteinpflaster kenne. Es fühlt sich an, wie mit dem Rennrad eine 2,2km lange Treppe mit 30km/h runterzufahren. Ein besserer Vergleich fällt mir nicht ein. Ich frage mich, wie ich den Tag überstehen soll. Durchgerüttelt, Beine und Arme tun jetzt schon weh. Die 2,2km haben schon alle Kraft aus meinem Körper gesaugt. Ich bin bereits fertig. Das kann ja heiter werden … noch 28 weitere Passagen und 52,7km Kopfsteinpflaster.


An viele Passagen fehlt mir jegliche Erinnerung. Die Freude über jedes Asphaltstück wird immer größer. Bei der ersten Verpflegung ist das Sanitätszelt umzingelt. Viele haben bereits Blasen an den Händen. Der Tipp „doppeltes Lenkerband“ ist übrigens der dümmste Ratschlag, dem ich seit langem gefolgt bin. Der Lenker wird viel zu dick, um ihn locker zu umfassen. Also kräftig zugreifen und das scheuert. Ich gucke kurz unter meine Handschuhe und beschließe: das ist der letzte Blick auf meine Hände bis zum Ziel. Etwas später wird es feucht im Handschuh. Die Blasen sind also auf. Na toll. Und die 5 Sterne Passagen kommen erst noch.


Die erste ist der Wald von Arenberg. Eine echte Herausforderung an Beine, Hände, Fahrtechnik und Mut. Der Weg ist in der Mitte höher und fällt zu den Seiten ab. Der Schatten und die Feuchtigkeit machen die groben Steine zu Glatteis. Ob ich will oder nicht, mein Rad zieht immer weiter nach links ins Gras. Da stehe ich nun. Zusammen mit anderen Fahrern. Neu Anfahren ist nicht, da das Hinterrad sofort durchdreht. Höchsten Respekt für alle, die hier durchfahren. Egal ob Profi oder Hobbyfahrer. Wir stolpern und schlittern auf die andere Seite des Weges und nutzen den Seitenstreifen bis zum Ende. Ich ärgere mich über mich selbst, mir fehlt aber auch eine Idee, wie ich das Stück hätte zu Ende fahren können. Danach endlich wieder Asphalt mit Gegenwind. Wie erholsam 😉. So kämpfe ich mich weiter von Passage zu Passage. Zähle im Kopf runter und freue mich, als endlich die Hälfte geschafft ist. Bei den wenigen Bergabpassagen (ja, die gibt es auch) werde ich so durchgeschüttelt, dass ich nix mehr sehen/erkennen kann. Ich kann nur hoffen, dass nix im Weg steht und mein Rad weiß, wo es lang geht. Ich hab die Kontrolle verloren bzw. aufgegeben. Interessant ist, dass die offenen Blasen irgendwann auch nicht mehr wehtun, da es andere Stellen im Körper gibt, die lauter schreien. Ablenkung auf der ein oder anderen Kopfsteinpflasterpassage bieten entgegenkommende Traktoren und Wohnmobile, die ihren Stellplatz für das morgige Profirennen suchen. Nervig, aber immerhin beschäftigt sich der Kopf mit etwas anderem.


Der Abschnitt 4 "Camphin-en-Pévèle" hat nur 4 Sterne, ist aber kaum zu fahren. Er bleibt mir als schwierigster Teil in Erinnerung. So rutschig und kantig sind die Steine. Es gibt keinen Seitenstreifen, auf den ich ausweichen könnte. Einfacher wird es auf den Randstreifen sowieso fast nie. Die Löcher sind tief und es hat viele Pfützen. Die Schläge genauso stark wie auf dem Pflaster. Einziger Vorteil: man kann etwas langsamer fahren. In der Mitte fährt es sich am besten (wenn man davon reden kann), aber dort muss ich mindestens 25km/h fahren. Sonst wirft es mich fast vom Rad. Und ich bräuchte viel mehr Kraft im Oberkörper.


Dann ist endlich "Carrefour" erreicht. Der letzte 5 Sterne Abschnitt. 2,1km lang. Es zieht sich. Es tut auch schon nicht mehr weh. Ist alles wie in Trance. Als ich den Asphalt erreiche, heule ich. Vor Glück. Geschafft. Jetzt noch 2 Abschnitte und ca. 25km bis ins Vélodrome André-Pétrieux. Dann ist es überstanden. Im letzten Abschnitt "Willems to Hem" wartet bei 3 Sternen Didi Senft und feuert uns an. "Danke Didi!" Dann ist es geschafft. Nur noch glatter Asphalt bis ins Ziel.


Im Radstadion dürfen wir noch eine halbe Runde fahren. Ein Depp drängt mich nach unten ins Gras ab. Mist. Das war anders gedacht. Dann endlich die Ziellinie und es ist vorbei. Jetzt gucke ich auch mal unter meine Handschuhe. Uiiih. Ganz schön tiefe Löcher in den Händen (linkes Bild). Morgen wird Rick Zabel (rechtes Bild) mit denselben Wunden an denselben Stellen das Rennen als 45. beenden. Was die Wunden an den Händen angeht, spiele ich also bei den Profis mit (hahahaha).


Das Privileg der Hobbyfahrer: jeder kann seinen eigenen Pflasterstein mit nach Hause nehmen. Auch ohne Platz 1 :).


Nach dem Foto ab in die historischen Duschen des Radstadions: wer bisher alles gut überstanden hat, wird spätestens jetzt weichgekocht. Es gibt nur heißes Wasser. Richtig heißes Wasser, eigentlich eher Wasserdampf. Glück habe ich bei der Kabinensuche: direkt vor mir wird die Kabine "John Degenkolb" frei. Also schnell raus und das Handy holen. Das muss festgehalten werden.


Ich bin froh. Froh es überstanden zu haben. Stolz es überstanden, einmal mitgemacht zu haben. Am Ende stehen für 172km mit 900HM und "nur" 23,4km/h auf dem Tacho. Kopfsteinpflaster macht langsam. Dazu eine leichte Gehirnerschütterung. Offene Handflächen. Arme, die mir 3 Wochen später noch immer weh tun. Eine Schulterverletzung, die ich nie wieder losgeworden bin und die Erkenntnis, dass 5bar Luftdruck für dieses Rennen viel zu viel sind.


Es wird immer behauptet, es gibt nur 2 Meinungen zu diesem Rennen: Man liebt es oder hasst es. Ich halte es mit Bernhard Hinault: "Paris–Roubaix est une connerie." / "Paris–Roubaix ist Scheiße."


Dieses Jahr wurde Paris-Roubaix von Petr Sagan (bora-hansgrohe) gewonnen.


Ronde van Vlaanderen (06.04.2019)

Das Hobbyrennen kommt dem Original (dem von 2019, nicht dem von 1913) schon sehr nahe. Es ist nicht ganz die Originalstrecke (3 Schleifen am Ende würde bei 16.000 Teilnehmern zu Chaos führen). Aber alle bekannten Anstiege sind in den 230km drin. Auch die Mauer von Geeradsbergen war 2019 noch mit dabei.


Start ist in Antwerpen (da lohnt sich ein zusätzlicher Tag vor dem Start) und Ziel in Oudenaarde. Wo man auch die Startunterlagen abholen muss. Das ist schon etwas aufwendig, aber machbar. Es gibt auch einen Bus-Transport für die Rückfahrt nach Antwerpen. Ich habe Kate dabei. Die beste "sportliche Leiterin" überhaupt, die mich überall begleitet, mich motiviert und unterstütz. Anfeuert und im Ziel auf mich wartet und mit Keksen und Küssen in Empfang nimmt. Und mir damit viel Stress und Hektik erspart. Dafür hier mal ein dickes DANKE. Ich kann also in Oudenaarde duschen und dann treten wir die Heimfahrt an. Zwischendurch essen wir noch was bei einem Italiener (was in Belgien selten ist).


Das Rennen startet um 6:00Uhr am Hafen bei Regen (na toll, schon wieder Regen in Belgien). Bis zur Stadtgrenze von Antwerpen ist es neutralisiert.


Allerdings gibt es gleich zu Anfang ein Sprintrennen zur Tunneleinfahrt (muss man wissen, wenn man vorne dabei sein will). An der Einfahrt staut sich erst mal alles, da immer nur 2 Fahrer nebeneinander durch die Schleuse passen. Ist sicherer so.

Danach geht es flach zur ersten Verpflegung. Spätestens da erkannt man: die Belgier wissen, wie man ein Hobbyrennen mit 16.000 Teilnehmern veranstaltet. Und an einem Dixi-Klo mitten im Nirgendwo auf einem Feld, an einer Stelle, wo erstaunlich viele Pipi machen müssen.


Die Strecke ist gut gesichert: an allen Kreuzungen und Einfahren steht Polizei. Und die schreitet bei Regelverstößen konsequent und verzögerungsfrei ein. Sowohl bei Rad- wie auch Autofahrern. Der Schlagstock ist öfter mal im Einsatz und knallt auf den ein oder anderen Arm oder Motorhaube.


Die Verpflegungsstellen haben alle eine Ein- und eine Ausfahrt. Es gibt also nur 1 Richtung, in der sich alle bewegen müssen. Vermindert Staus und sorgt für eine zügige Abwicklung. Gut organisiert.


Die 2. Verpflegung lasse ich aus. Dort treffen 3 Touren und gefühlt 10.000 Fahrer aufeinander. Ich habe noch Wasser und 2 Gels in der Tasche. Also gleich weiter. Gute Entscheidung. Der nächste Halt ist hinter der Mauer von Geeradsbergen. Geiler Anstieg mit 20%. Ca. 3m breit. Kopfsteinpflaster und an der Kapelle sitzen alte Männer in der Sonne auf Plastikgartenstühlen beim Bier und gucken uns zu. Direkt an der Strecke. Kein Bürgersteig dazwischen. Nix. Überhaupt gibt es unglaublich viele Zuschauer, die sich das Hobbyrennen angucken und uns anfeuern. Das ist mit Abstand die größte Begeisterung für ein Hobbyrennen, die ich je erlebt habe. An den Anstiegen können beim Profirennen kaum mehr Zuschauer stehen. Geil.


Die Kopfsteinpflasterpassagen sind – im Vergleich zu Paris-Roubaix – leichte Unebenheiten. Vielleicht liegt es an meiner Erfahrung vom letzten Jahr? Oder weil es meistens beim Kopfsteinpflaster bergauf geht? Egal. Ich komme gut damit klar.


Die Belgier fahren ein unglaubliches Tempo. Flachstücke immer um die 40km/h und bergab und in den Kurven gibt es für die kein Morgen. Es gibt aber auch viele Stürze in den sandigen Kurven der Feldwege. Am Koppenberg stehe ich 45min im Stau (300m). Blockabfertigung. Es dürfen alle 30 Sekunden 20 Fahrer in den Anstieg. Hilft leider auch nicht, da ich nach 100m auf die Letzten der Vorgruppe auffahre und 2 Fahrer abstiegen und die ganze Straße blockieren. Also muss ich auch vom Rad. Und dafür habe ich 45min angestanden. Grrrrr! Dann hätte ich auch außen herum fahren können und wäre 45min früher im Ziel gewesen.


Allgemein fliege ich quasi über die Kopfsteinpflasterabschnitte und überhole viele Fahrer. Gerade an den Anstiegen. Die letzten 15km (flach) zum Ziel hänge ich mich an eine Gruppe Belgier. Ich muss allerdings 5km vor dem Ziel reißen lassen. Die Jungs sind bei Wind mit über 45km/h unterwegs. Irgendwann platze ich weg. Am Ende steht – trotz 45min Schritttempo im Wartestau – ein Schnitt von knapp 26km/h auf dem Tacho. Das überrascht mich selbst.


Strecke und Zuschauer machen die Flandernrundfahrt zu etwas Besonderem und sind die lange Anreise wert. Anmelden muss man sich sofort im Oktober. Die 16.000 Plätze sind meist innerhalb von wenigen Tagen vergeben. Beeindruckend.


Dieses Jahr wurde die Ronde van Vlaanderen von Alberto Bettiol (EF Education First) gewonnen.


Liege – Bastogne – Liege (La Doyenne) (23.04.2016)

Die einzige Chance ein komplettes Radsportmonument zu Originalbedingungen zu fahren. Am Tag vor dem Profirennen und über die Originalstrecke. Mehr originales Radsportmonument (wenn man die Originalstrecken der Jungs nimmt) geht nicht. Und das beim ältesten Monument (seit 1892).


Lüttich – Bastogne – Lüttich habe ich als erstes ausgewählt, weil es die meisten Höhenmeter (4600hm) hat. Das hat mich gereizt.


Den Start hätte ich dann fast ausfallen lassen. Morgens um 5:00Uhr strömender Regen bei 3°C. Will man da 285km Rad fahren? Das schlechte Gewissen bis nach Lüttich gefahren zu sein und dann nicht zu starten siegt. Ich mache mich also auf den Weg zum Start um 6:00Uhr. 12h später soll ich hier wieder ankommen.


Durch Lüttich geht es zum offiziellen Start des Rennens am Stadtrand. Die ersten 110km sind flach bis leicht wellig. Es regnet bzw. schneit fast die ganze Zeit. In Bastogne sind die Finger so steif gefroren, dass ich die Waffeln an der Verpflegung kaum aus der Tüte bekomme.


Es weht ein starker und eisiger Wind bei -5°C. Leichter Regen. Den Profis wird morgen etwas erlassen, die dürfen vor Bastogne abkürzen. Wenn Kate hier gestanden hätte, wäre ich ins Auto gestiegen. So bleibt mir nur: weiter. Ein paar Belgier sammeln mich ein und so wird die 15km lange gerade Straße bei Gegenwind und Regen etwas erträglicher. Irgendwann hört es auf zu regnen und – man glaubt es kaum – die Sonne kommt raus. Die Temperatur steigt auf +5°C und es geht die ersten Anstiege hoch. Langsam wird mir wieder warm.


Die Straßen in der Wallonie gehören definitiv zu den schlechtesten in Europa, die ich bisher gefahren bin. In einigen Abfahrten sind so tiefe Löcher, dass ich bezweifel', dass ein Vorderrad von alleine wieder rausrollt. In einer schnellen Abfahrt im Wald ist eine "Welle" in der Straße, die mich doch stark an eine deutsche Bordsteinkante erinnert. Aber scheinbar alles normal hier. Man springt einfach drüber. In einer Kurve.


Nach 170km eine schöne Überraschung: Kate wartet am Straßenrand. Ein Kuss für die Motivation und das Wohlbefinden und dann auf zu den letzten 120km. Jetzt geht es – mehr oder weniger – nur noch hoch und runter. Kommt mir entgegen. Endlich werden Höhenmeter gemacht. Etwas wärmer wird es auch. So um die 12°C und manchmal scheint sogar die Sonne.


Jetzt folgen die entscheidenden Anstiege des Profirennens mit den 20% Rampen. Sind aber alle gut machbar. Aus Respekt vor der Strecke bin ich es langsam angegangen und habe jetzt noch genug Kraft. Ich kann alles fahren. Auch wenn es bei "La Redoute" knapp war, da vor mir einer umkippt. An den bekanntesten Anstiegen gibt es eine Zeitmessung mit Video. Am Anfang jeder Steigung ein Schild mit Länge, durchschnittlicher und maximaler Steigung. Man weiß also, worauf man sich einstellen muss. Ich bin mir unsicher, ob es rein informativ ist oder Angst machen soll ...


Der vorletzte Anstieg "Saint Nicolas" soll schwer sein. Also langsam rein. Und hoppla. Schon bin ich oben. Hmmm. Da hatten wir heute schon schwierigere Anstiege. Jetzt auf die Autobahn (ja: Autobahn, nein: nicht gesperrt) und zurück nach Lüttich, den letzten Anstieg hoch. Kurz vor dem offiziellen Ziel biegen wir ab und fahren zurück zum Startort. Kate ist auch schon da und es regnet – mal wieder. In der Dusche stelle ich fest: Zehen und Finger sind sehr blau. Generell würde ich meinen Zustand als unterkühlt bezeichnen und eine Blasenentzündung habe ich mir auch geholt. Aber nach 30min heißer Dusche geht es mir schon besser. Jetzt erst mal etwas richtiges Essen. Die Verpflegung unterwegs war denkbar schlecht. Grüne Bananen, extrem zuckerige Waffeln, Wasser und ein Sportgetränk. Das war es auch schon. Mehr gibt es nicht. Ich bin froh meine eigenen Gels dabei gehabt zu haben.


Mein erstes Radsportmonument ist geschafft. Ich bin etwas stolz auf mich. Und im Nachhinein froh gestartet zu sein. Jetzt entsteht der Plan alle 5 Radsportmonumente zu fahren.


Als Tipp: Essen gehen ist in Lüttich schwierig. Es gibt kaum Restaurants. Entweder Pommesbude oder vornehme Küche. Da hat man besser Nudeln im Gepäck. Wir hatten von daher Glück, dass wir bei Airbnb gebucht haben. Da sind schnell ein paar Nudeln gekocht.


Dieses Jahr wurde Liege-Bastogne-Bastogne von Wout Poels (Sky) in langen (!) Hosen gewonnen.


Il Lombardia (14.10.2018)

Seit 1907 führt die Originalstrecke von Bergamo nach Como oder umgekehrt. 2018 geht es von Bergamo nach Como. Lange Zeit musste die Lombardeirundfahrt ohne Hobbyrennen auskommen. Die Verkehrssituation rund um Como ist zu problematisch und es gibt keine Genehmigung. 2017 und 2018 gab es eine Runde über 110km + 20km. Como-Como. Die letzten 80km auf der Originalstrecke des Profirennens, mit allen Anstiegen. Aus Sicherheitsgründen wird beim Hobbyrennen am Civiglio die Zeit genommen und die gefährliche Abfahrt (Erinnerung: der Sturz über die Mauer von Laurens De Plus und Jan Bakelants in 2017) zurück zum Start kann gemütlich gefahren werden.


Mit der Wahl der Unterkunft haben wir eine glückliche Wahl getroffen. 500m vom Zielstrich des Profirennens entfernt. Also Startunterlagen abholen und dann entspannt den Sieg von Thibaut Pinot, vor Vincenzo Nibali, angucken. Schade. Ich – zusammen mit fast allen anderen Zuschauern – hätte lieber Nibali als Sieger gesehen. Immerhin sagt Pinot: er fährt am liebsten Rennen in Italien. Das versöhnt mich etwas mit dem Franzosen. 😉


Zum Rennen: morgens um 7:30Uhr am Start (am Comer See) herrscht gute Stimmung und gutes Wetter. Ein überschaubares Fahrerfeld. Offiziell 800 Starter, eine eher kleine Veranstaltung. Die ersten Kilometer – wie immer Vollgas – sind flach und das Feld teilt sich nach und nach auf. Die Fahrer der RCS Begleitfahrzeuge sind dieselben wie beim Profirennen und ich finde, man merkt, dass die wissen, was sie tun. Ich fühle mich sicher.


Der Aufstieg zur Madonna di Ghisallo ist einfach. Plötzlich war ich oben. Eine Pause brauche ich hier eigentlich nicht. Aber natürlich mache ich ein Foto vom Denkmal und gehe in die Kapelle. Alte Trikots und Räder gucken. Unglaublich, auf was für Rädern ein Coppi und Bartali damals ihre Rennen gewonnen haben. "Das!" sind Helden des Radsports.


Das einzige und wirkliche Hindernis ist die Muro di Sormano. 1,9km, 16% im Schnitt mit bis zu 27% im letzten Teil. Lustig: auf der Straße stehen die Höhenangaben, ich kann mich also von Höhenlinie zu Höhenlinie kämpfen.


Die Hobbyfahrer können wählen (über die Muro oder außen rum). Bei der Einfahrt muss man aufpassen. Die ist klein und führt auf einen asphaltierten Waldweg. Die Ordner wollen mich auf die Straße lotsen. Ich muss mich also "wehren" 😉 Jetzt aber links rein. Ich nehme mir vor "gemütlich" zu fahren. Richtige Entscheidung. Viele geben unten richtig Stoff und nach zweihundert Metern müssen sie vom Rad und schieben. Ich fahre konstant hoch. Das ist wichtig, denn die Straße ist feucht und rutschig. Zwischendrin stehen links 4 Jäger mit gezückter Schrotflinte. Ich frage mich: "Werden da alle erschossen, die laufen, statt zu fahren?" Hihi. Dann kommt das 27% Steilstück. Jepp. Ist steil. Aber mit Übersetzung von 34-30 machbar.


Kurz vor der Kuppe holt mich ein quatschender Italiener ein. Der ist mit seinen ca. 70 Jahren etwa 20 Jahre älter als ich und feuert jeden an, der sich hochquält. Und überholt uns alle. Ich kriege gerade so ein "Ciao" raus. Den Rest Luft in meiner Lunge brauche ich für die letzten Höhenmeter bis zur Kuppe. Meine offizielle Zeit: 16:13 Minuten (Primoz Roglic hat als schnellster Profi knapp 9 Minuten gebraucht). Die Abfahrt und Rückfahrt nach Como ist … geil. Kurvige Abfahrt, entspannte Autofahrer und unten immer am See entlang.


Der Civiglio-Anstieg zum Hobby-Ziel (4,2km, maximal 14,0%, im Schnitt 9,7%) wird dann noch mal etwas chaotisch. Autos verstopfen die komplette Straße und wir müssen alle vom Rad. Weiter oben dann ein kleines Schaulaufen für mein Rosa Trikot. Die Italiener feuern mich an, als würde ich um den Sieg fahren. Cool.


Das letzte Highlight, eines ohnehin schon geilen Tages, ist dann die Pasta-Party. So ein Essen sucht man in Deutschland in vielen Restaurants vergeblich. Zwei 3-Gänge-Menüs stehen zur Auswahl und lecker sind die auch. Mit Kate auf einer Mauer am Comer See sitzen und in der Sonne das Essen genießen. Ein perfekter Tag. Das ist schon richtig Urlaub.


Eine der schönsten Veranstaltungen der 6 Radsportmonumente. Leider wurde ab 2019 – wegen Verkehrsproblemen – Start und Ziel aus Como heraus verlegt.


Dieses Jahr wurde Il Lombardia von Thibaut Pinot (Groupama-FDJ) gewonnen.


Fazit

6 Radsportmonumente in 7 Jahren abgefahren. Das war viel Spaß und etwas Quälerei. Jedes Monument hat seinen eigenen Charakter, eigene Anforderungen und Emotionen.

Die originalsten Monumente sind "Liege – Bastogne – Liege" mit richtig Schweißwetter und 100% Originalstrecke. Und die Originalstrecke "Strade Bianche" der Mädels.

Mein persönliches Ranking ist "Strade Bianche", dicht gefolgt von "Il Lombardia" (leider nur 120km) und der "Ronde van Vlaanderen".


Die besten und meisten Zuschauer sind bei der "Ronde van Vlaanderen" und "Strade Bianche". Da ist Radsport Teil der Kultur und des Lebens und die alten Männer mit Bier im Gartenstuhl an der Mauer von Geeradsbergen bleiben unbezahlbar.


Am emotionalsten sind "Paris-Roubaix" und "Strade Bianche". Bei "Paris-Roubaix" habe ich geflucht, geschrien, geheult und hatte am Ende etwas Gänsehaut im Velodrom. Und genügend Folgeschäden um mich als "Held zu fühlen".


Bei der "Strade Bianche" habe ich gefroren und am Ende Tränen in den Augen, als es auf die Piazza del Campo ging. Es war eine sensationelle Stimmung und ich wäre am liebsten gleich noch eine Runde gefahren.


Genau das werde ich auch tun: Noch mal fahren "Strade Bianche" und "Ronde van Vlaanderen".


 
 
 

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