2020. Das Jahr 0 nach Corona. Alles abgesagt. Ein Radmarathon ist übrig geblieben: die Tour des Stations in der Schweiz/Wallis.
Was steht an: 240km. 8400 Höhenmeter. Es geht das Rhone-Tal entlang immer hoch und runter über 8 Pässe. Der Plan: 13,5 Stunden unterwegs sein.
Die Ferienwohnung im Startort Le Chablet ist gut gewählt. 200m bis zur Startlinie (der Weg dahin aber 2km). Aufstehen um 3:30Uhr. Länger schlafen war eh nicht, da Didi Senft direkt unter unserem Fenster ab 03:00Uhr lautstark die Teilnehmer begrüßt. Start ist um 05:00Uhr mit Maskenpflicht für alle 243 Starter. 168 werden das Ziel erreichen.
Neutralisiert geht es die ersten Kilometer zum ersten Anstieg. Ab dort zählt die Zeit. Ich mach' am ersten Berg erst mal langsam und überhole einen Fahrer mit E-Bike und einen mit 25er Ritzel. Okayyyyyhh. Das ist ambitioniert. Beide sehe ich an diesem Tag nicht wieder. Der erste Pass (Col des Lein) hat oben 2km Schotter. 1km hoch. 1km runter. Die Abfahrt ist steil, kurvenreich mit löchriger Straße. Unten rollt unsere Gruppe die einzigen 10 flachen Kilometer des Tages mit 40km/h durch Aprikosenplantagen. Der Rest des Tages folgt einem anderen Muster: Hoch. Runter. Abbiegen und wieder hoch. So isses recht :-) und gefällt mir. Noch 7 Pässe bis zum Ziel.
Circa zur Hälfte kommen wir durch Crans Montana. Wurde als bekannter und berühmter Ort angekündigt. Ich bin ehrlich: "Hab ich noch nie gehört, will ich auch nicht wieder hin." Ein Golfplatz mitten durch die Stadt und die Leute hier geben wahrscheinlich für ein Frühstück mehr aus, als ich für ein Fahrrad. Porsche, Ferrari und sonstiges blechernes Ungeziefer. Die Golfwagen in der Stadt haben scheinbar uneingeschränkt Vorfahrt. Ich bin froh, als ich das Ortsausgangsschild passiere. Schlagartig wieder Ruhe. Es geht weiter durch ruhige Natur. Meine Gedanken kreisen zum ersten Mal um das Zeitlimit. Eine Gruppe Niederländer (6 Fahrer) geben um 14:30Uhr an der Verpflegung auf. "Hey! Seht ihr das Schild nicht? Nur noch 3500 Höhenmeter bis ins Ziel!"
Um 15:45Uhr überholt mich der Rennarzt. Redet irgendwas auf Französisch. Ich verstehen kein Wort. Glaube aber, er will mir und dem Dänen hinter mir sagen: ihr habt noch 15min für die 4km bis zur nächsten Verpflegung. Wir treten kräftiger in die Pedale und rauschen durch den nächsten Ort. Sehr gut, aber leider völlig falsch. Hahahha. Am Kreisverkehr: Uhps. Keine Wegweiser. Hä?!?!? Da haben wir wohl was verpasst. Also wieder den Berg hoch und siehe da, es ging am Ortseingang links ab (leider steht ein Lieferwagen vor dem Wegweiser). Jetzt aber fix. An der Verpflegungsstelle stehen die Helfer schon am Luftbogen und haben den Stöpsel in der Hand. Warten noch auf uns und lassen dann die Luft raus. Kommentar des Dänen: "That was close." Grins. Wir freuen uns. Essen, Trinken, Flaschen auffüllen und weiter.
Bei der nächsten Zeitnahme habe ich wieder 10min gut gefahren. Geht doch. Verpflegung in Nauders erreichen wir zu fünft und gucken uns verwirrt an. Keiner (mehr) da. Ist jetzt doof, weil ich kein Wasser mehr habe. Nach 30min ein Brunnen in einem Garten. Der Besitzer sitzt auf dem Balkon und auf meine Frage sagt er: "ja, das Wasser ist trinkbar" und bietet mir einen Whisky dazu an, weil der mit seinem Wasser besonders gut schmeckt. Er ist hellauf begeistert, dass wir mit dem Rad durch seine Heimat fahren und ich Wasser von ihm will. Ich entscheide mich heute mal für "nur Wasser" ;-). Nach einem kurzen Plausch geht's weiter. Jetzt ist wieder alles gut und ich habe eine Whiskyeinladung in der Tasche.
Dann naht der letzte Anstieg. Es wird kühler. Nix mehr von den schönen 35°C und Sonne, die uns ab 11:00 begleitet haben. Sonne gibt's schon noch, aber nur noch 20°C. 20 ist die Zahl der aktuellen Stunde: 20% soll der letzte Anstieg haben. Und er fängt mit Schotter an: "Och neee! Ihr wollt doch jetzt nicht 12km auf Schotter da hoch ...". Zum Glück sind es aber "nur" 3,5km Schotter durch den Wald. Und die 20% werden auch gleich mit abgehandelt. Auf dem Asphalt (soweit die offizielle Bezeichnung, kann man aber drüber diskutieren) kommt der Besenwagen und will mich einsammeln. Ne, Leute! So nicht. Es sind noch 6km und ich habe noch 40min. Das ist kein Problem. Er sieht das anders, ich fahre einfach weiter. Ich verstehe ja auch eigentlich gar kein Französisch. Hehehehe.
Kurz vorm Ziel hole ich 4 Fahrer ein. Mist. Jetzt will ich auch Letzer werden. Muss ja auch mal sein. Ich nehme raus. Von hinten drängelt der Besenwagen. Und dann: 20:35Uhr und ein kurzer Stehversuch, damit ich den Mann vor mir nicht doch noch überhole, ist das Ziel erreicht. Als letzter Fahrer direkt vorm Besenwagen und 10 Minuten zu früh. Auch mal was.
Flasche füllen und runter nach Verbier. Zum offiziellen Zielbereich. Medaille einsacken und weiter nach Le Chablet.
Das war's dann also. Ich war 15:40h unterwegs. 14:00h Fahrzeit. Den ganzen Tag strahlend blauer Himmel. Temperatur zwischen 5°C und 42°C. 12 Geltütchen. Unzählige Kekse, Waffeln, Orangen und Bananen. Anzahl der Trinkflaschen weiß ich nicht mehr. Hab irgendwann den Überblick verloren. Anspruchsvolle und steile Straßen (hoch und runter). Knapp 10km flach. Der Rest sind schräge Straßen, wie ich es mag. Organisation und Streckensicherung - wie immer in der Schweiz - super. Sogar mit Streckenvideo https://www.youtube.com/watch?v=kLwDtkYo8KE und einem kurzen Film vom Tag https://www.youtube.com/watch?v=NHz_vtt-Jyw.
Die Fakten: 237km, 8400 Hm, 5°C - 42°C, 8 Pässe; 15,5h (14h Fahrzeit) unterwegs gewesen.
Was bleibt? Würde ich es noch einmal machen? Eher nicht. Warum? Die Landschaft ist irgendwie immer gleich (ich hab öfter gedacht: "Hä? Hier war ich doch schon mal."). Würde ich etwas anders machen (hinterher ist man ja immer klüger)? Mehr und füher essen. Würde ich etwas empfehlen? Auf jeden Fall in Le Chablet übernachten. Was sind die schönsten Erinnerungen? Die langen Abschnitte ohne Häuser/Menschen, die lange Zeit "alleine" in der Natur. Und natürlich der alte Mann mit Brunnen und Whisky mitten im Nirgendwo.
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